Publiziert: Mai 2019 |  DOI: 10.1073/pnas.1902840116

Tiefe Luftfeuchtigkeit schwächt Barrierefunktion und angeborene Resistenz gegen Grippeinfektionen

Eriko Kudo, Eric Song, Laura Yockey, Tasfia Rakib, Patrick Wong, Robert Homer, Akiko Iwasaki


Die Überschrift gibt exakt den Titel wieder einer soeben veröffentlichten Studie aus dem Institut für Immunologie der Universität Yale, geleitet von Dr. Akiko Iwasaki. Die Publikation erschien in der angesehenen US-Fachzeitschrift PNAS, herausgegeben von der Nationalen Akademie der Wissenschaften. Sie hat bei Wissenschaftlern und Weltpresse rasch das erwartete, grosse Echo gefunden.

Dass tiefe Luftfeuchtigkeit die Schleimbarriere in den Atemwegen schwächen würde, konnte aufgrund früherer Studienresultate erwartet werden. Aufsehenerregend ist die unerwartete Erkenntnis, dass tiefe Luftfeuchtigkeit das angeborene Immunsystem blockiert, in den Atemwegen zu mehr Zellschädigung führt und die nachfolgenden Reparaturvorgänge behindert. Dies bedeutet, dass der Einfluss der Luftfeuchtigkeit sich auf den gesamten Krankheitsverlauf der Grippe erstreckt, von der Ansteckung bis hin zur Genesung.

Die aktuelle Studie konnte zeigen, dass winterliches Raumklima mit tiefer Luftfeuchtigkeit in den Gebäuden die Anfälligkeit auf das Grippevirus erhöht und sich auf den ganzen Krankheitsverlauf verstärkend auswirkt.

Für Testpersonen wären Experimente mit der Einatmung von Grippeviren zu risikoreich. Deshalb wurden die Untersuchungen mit genetisch angepassten Labormäusen durchgeführt, die einen ähnlichen immunologischen Krankheitsverlauf zeigen. Der Einfluss der Luftfeuchtigkeit wurde untersucht, indem die Mäuse vor den Versuchen über fünf bis sieben Tage in einer Klimakammer gehalten wurden und nach dem Infizieren dorthin zurückkehrten. Bei konstanter Raumtemperatur von 20°C wurde die relative Luftfeuchtigkeit konstant auf tiefen 10% oder auf mittleren 50% gehalten. Damit wurden die Feuchteverhältnisse in unseren Gebäuden im Winter und im Sommer simuliert. Der Zugang zu Wasser und Nahrung wurde nicht eingeschränkt.

Das Grippevirus wurde in fünf von sechs Versuchen durch Einatmung von infektiösen Tröpfchen übertragen. Ein auch für den Menschen ansteckendes Grippevirus der Gruppe A, genannt Porto Rico/8 (PR8) wurde verwendet. Die drei Verteidigungslinien unseres Körpers gegen Infektionen der Atemwege sind die Schleimhautbarriere, das angeborene und das erworbene Immunsystem. Dies gilt sowohl für die Kontaktübertragung als auch für die Übertragung durch eingeatmete Tröpfchen. Der Einfluss der Luftfeuchtigkeit auf diese drei Schutzmechanismen wurde in der Studie in sechs Experimenten untersucht. Jede Grippeinfektion beginnt damit, dass die Viren versuchen, die Schleimhautbarriere der Nase oder der Atemwege zu durchdringen und die darunterliegenden Epithelzellen zu infizieren. Der Schleimbelag bewegt sich währenddessen durch das Schlagen der Flimmerhärchen aus Nase und Bronchien permanent Richtung Kehlkopf. Die Viren stehen damit in einem Wettlauf gegen die Zeit. Gelangen sie mit dem Schleimteppich in den Kehlkopf bevor sie in eine Epithelzelle eindringen konnten, werden sie entweder verschluckt oder ausgehustet, bevor sie eine Infektion auslösen konnten.

Das Team von Frau Iwasaki hat aufgezeigt, dass die Flimmerhärchen sich bei tiefer Luftfeuchtigkeit langsamer und unkoordinierter bewegen und dass sich der Schleimbelag langsamer fortbewegt. Dies vergrössert das Zeitfenster für das Durchdringen des Schleimes und erhöht die Chance, dass die Grippeviren erfolgreich eine Grippe auslösen können. In der Auflicht-Mikroskopie der Luftröhren-Schleimhaut konnte der langsamere Transport von Partikeln eindrücklich visualisiert werden. (siehe Video Links am Ende). Die in verschiedenen Farben fluoreszierenden Mikro-Partikel machen die Bewegungen des Schleimbelages und der Zilien im Video sichtbar.

Die zweite Abwehrlinie gegen Infektionen, die angeborene Immunität, basiert auf der Fähigkeit von weissen Blutzellen, körperfremde Stoffe und Mikroben als «fremd» und «gefährlich» zu erkennen. Die als Bedrohung erkannten Viren können durch diese Zellen inaktiviert werden. Gleichzeitig geben sie den Botenstoff Interferon ab, der Gene aktiviert, welche die Abgabe von antiviral wirkenden Eiweissen steuern. Im Experiment wurde nachgewiesen, dass bei 50% Luftfeuchtigkeit das angeborene Immunsystem wirksam eingreift, die Viren rasch beseitigt und nur wenige Epithelzellen befallen werden. Die Infektion kann gestoppt werden, ohne dass das erworbene Immunsystem eingreifen muss. Nach fünftägigem Aufenthalt in 10% trockener Luft jedoch kann das angeborene Immunsystem nicht mehr aktiviert werden. Die Schäden am Lungengewebe sind ausgeprägter und zudem erfolgt der Zellersatz durch Zellteilung langsamer als bei gut befeuchteter Luft.

Die Blockierung der angeborenen Immunität durch trockene Raumluft ist ein Befund, den Immunologen als unerwartet und sensationell bezeichnen und der für uns alle von möglicherweise grosser Tragweite ist. Im letzten Experiment wird dieser Befund auf dem Niveau von Zelltypen dokumentiert. Bei diesem Versuch erfolgte die Infizierung über Nasentropfen um zu demonstrieren, dass die Studienresultate unabhängig sind von der Übertragungsart des Grippevirus. In den Gruppen 10% und 50% Luftfeuchtigkeit wurde die Verteilung von zweiundzwanzig verschiedenen Zelltypen des Lungengewebes am zweiten Tage nach erfolgter Infektion verglichen. In beiden Gruppen fanden sich Veränderungen der Zellverteilung, die eine aktive, autonome zelluläre Abwehr anzeigten. Nur bei 50% Luftfeuchtigkeit fanden sich jedoch in virusbefallenen und virusfreien Zellen durch Interferon stimulierte, antiviral aktive Gene, jedoch nicht bei 10% Luftfeuchtigkeit. Dies bedeutet, dass tiefe Luftfeuchtigkeit die Aktivierung des angeborenen Immunsystems blockiert und verantwortlich ist für die ungehinderte Vermehrung und Verbreitung der Grippeviren im Lungengewebe und deren Folgeschäden.

Das Atmen von 50% feuchter Luft ermöglicht das unbehinderte Funktionieren der ersten zwei von der Natur vorgesehenen Verteidigungslinien der Atemwege und verhindert schwere Grippeverläufe. Die Infektion kann bei 50% Luftfeuchtigkeit überwunden werden, ohne dass die dritte Verteidigungslinie, das erworbenen Immunsystem, sich aktiv einschaltet. Weshalb die Schutzfunktion des angeborenen Immunsystems nach mehrtägigem Atmen von trockener Luft nicht aktiviert werden kann, ist ungeklärt. Es scheint, dass das Erkennen und Unterscheiden von «gefährlich-ungefährlich» und von «körpereigen-körperfremd» gestört ist. Da bei tiefer Luftfeuchtigkeit der Abtransport von eingeatmeten Partikeln gestört ist, könnte die Ursache eine Dekompensation des Erkennungsprozesses sein infolge Überlastung durch eine übergrosse Anzahl von eindringenden Partikeln.

Die Erkenntnisse der Studie liefern eine gute Erklärung für das winterliche Auftreten der Grippeepidemien in der gemässigten Klimazone. In unseren geheizten Gebäuden werden im Winter häufig relative Werte der Luftfeuchtigkeit von 10 bis 30% gemessen, insbesondere in energieeffizienten, luftdichten Gebäuden mit mechanischer Lüftung. Die Publikation schliesst mit der Feststellung, dass die Anhebung der Luftfeuchtigkeit eine sinnvolle Strategie sein kann um das Risiko einer Grippe zu senken, deren Symptome zu mildern und die Genesung zu beschleunigen.

Referenz:
Low ambient humidity impairs barrier function and innate resistance against influenza infection, Eriko Kudo, Eric Song, Laura Yockey, Tasfia Rakib, Patrick Wong, Robert Homer, Akiko Iwasaki,




Die veröffentlichte Studie  unter der National Academy of Sciences mit Messungen bei einer Raumtemperatur von 20 °C und unterschiedlicher relativer Luftfeuchtigkeit von 10% bzw. 50% r.F. an genmutierten Mäusen, welche mit Influenzviren angesteckt wurden, bestätigt:
  • Niedere Luftfeuchtigkeit erhöht das Risiko für die Grippeerkrankung, verstärkt den Krankheitsverlauf und beeinflusst die Genesung nachteilig.
  • Die niedere Luftfeuchtigkeit in der geheizten Raumluft zur Winterszeit verlängert die Überlebenszeit von ausgehusteten Grippeviren in der Luft.
  • Eingeatmete Viren werden bei trockener Atemluft nicht mehr effizient ausgehustet und verschluckt, da die Flimmerhärchen den Schleim nur verlangsamt gegen den Kehlkopf transportieren. 
  • Niedere Luftfeuchtigkeit blockiert das körpereigene Abwehrsystem und behindert die Reparaturvorgänge. Grippeviren können sich so in der Lunge vermehren.