Covid-19-Pandemie verändert die Lüftungsindustrie
Covid-19: Maßnahmen im Gebäudebestand

Die Covid-19-Pandemie verändert die Lüftungsindustrie grundlegend

Die Lüftungsindustrie hat zeitnah sinnvolle Handlungsempfehlungen abgegeben
Folgende Faktoren vergrößern das Übertragungsrisiko: steigende Zahl von Personen und Aufenthaltsdauer, kurze Distanzen zwischen Personen, ungenügende Außenluft-Zufuhr, spezielle Raumklimabedingungen wie Kälte und Trockenheit sowie Aktivitäten, welche die Abgabe von feinen und größeren Tröpfchen steigern wie Sprechen, Singen, Schreien und verstärkte Atmung bei körperlicher Arbeit. Soweit sind sich Epidemiologen und Lüftungsingenieure einig nach der Analyse unzähliger Super-Spreader Events. Unter dem Link 1 (siehe Ende des Beitrags) finden sich Angaben zu mehr als 1100 Super-Spreader Events weltweit. Die Verbände der Lüftungsindustrie in Deutschland, BTGA, FGK und RLT-Herstellerverband (Link 2) sowie die ASHRAE Epidemic Task Force (Link 3) haben Empfehlungen abgegeben für den Betrieb von Lüftungsanlagen während der Covid-19-Pandemie. Die Empfehlungen gehen vom Gebäudebestand und der darin verbauten Lüftungstechnik aus und erlauben deren optimierten Betrieb. Zu wenig klar erfolgt die Abgrenzung gegenüber allen Sekundärluft-Geräten, die keinen Luftaustausch verursachen. Dazu gehören die Klimageräte (Ventilator-Konvektoren, Split- und Multi-Split-Geräte, mobile Klimageräte), welche alle ohne Außenluftanteil und ohne oder mit ungenügenden Filtern betrieben werden. Die Luftreinigungsgeräte sind ebenfalls Sekundärluftgeräte ohne Außenluftanteil. Sie können mit diversen Technologien Schadstoffbelastungen inklusive Mikroben aus der Raumluft entfernen. Das Fehlen jeglichen Luftaustausches bei allen Sekundärluftgeräten ist vielen Nutzern nicht bewusst, da sie die spürbare Luftströmung intuitiv mit dem Lüftungsgedanken verbinden.

Tröpfchen und Aerosole – die Diskussion geht weiter
Mikro-Tröpfchen mit einem Durchmesser von weniger als fünf Mikrometern werden Aerosole genannt. Die Krankheitsübertragung durch infektiöse, schwebefähige Tröpfchen über größere Distanzen wird Aerosolübertragung genannt. Gesundheitsbehörden, Aerosolforscher, Kliniker und Epidemiologen streiten weiter darüber, ob die Übertragung von viralen Atemwegsinfektionen vor allem über größere Tröpfchen (Reichweite bis circa 2 m) oder über Aerosole und große Distanzen erfolgen kann. Das RKI hat, klarer als andere Gesundheitsbehörden, im letzten Steckbrief zu Covid-19 festgestellt (Stand 10.07.2020), dass in schlecht belüfteten Räumen die Wahrscheinlichkeit von Aerosolübertragungen über größere Distanzen gegeben ist (Link 4). Die Lüftungsindustrie hat früh erkannt, dass sie einen wichtigen Beitrag zur Infektionsprävention leisten kann. Analysen von zahlreichen Super-Spreader Events haben gezeigt, dass das Verhältnis zwischen Tröpfchen- und Aerosol-Übertragung vom Erzeugungsmechanismus der Tröpfchen (ruhiges Atmen, Singen, Reden, Schreien, Husten) und damit von der Größenverteilung der erzeugten Tröpfchen abhängig ist. Durchmesser und damit Masse entscheiden über die möglichen Transportdistanzen. Während größere Tröpfchen innerhalb der zwei Meter Distanzregel nach ballistischer Flugbahn zu Boden fallen, können die schwebefähigen Mikro-Tröpfchen, abhängig von den Luftströmungen, über größere Distanzen verfrachtet werden. Induzierte Konvektion (Lüftungen), Auftrieb durch Wärmequellen und Raumklima haben Einfluss auf die Verteilung im Raum, die Verweildauer und die Infektionsdauer von schwebefähigen Tröpfchen. Es ist nachgewiesen, dass in den kleinen Tröpfchen mehr infektiöse Viren enthalten sind als in den großen Tröpfchen. Bei allen Erzeugungsmechanismen vom Atmen bis zum Husten sind die Mikro-Tröpfchen weit in der Überzahl.

Außenluft, Luftaustausch und hohe Filtereffizienz reduzieren das Übertragungsrisiko
Verdünnung der Raumluft mit Außenluft, Abtransport belasteter Raumluft als Abluft und im Falle von Umluft die Filterung, reduzieren das Übertragungsrisiko durch luftgetragene Erreger, indem sie die Erregerkonzentration in der Luft vermindern. Untersuchungen am Hermann-Rietschel-Institut (TU Berlin) haben gezeigt, dass die CO2-Konzentration ein guter Indikator ist für die Effizienz der Lüftungsanlagen in Bezug auf die anwesende Personenzahl und indirekt für die Virenkonzentration und das Ansteckungsrisiko in geschlossenen Räumen. Selbst bei mehrfachem Austausch der Raumluft pro Stunde verbleiben niedrige Virenkonzentrationen deutlich länger als eine Stunde im Raum. Das Übertragungsrisiko ist deshalb auch abhängig davon, wie lange Covid-19-Viren in der Luft infektiös bleiben und wie viele Viren notwendig sind, um eine empfängliche Person zu infizieren. Humanversuche in den 60iger Jahren mit Aerosolen von Grippeviren haben gezeigt, dass zwei bis drei Grippeviren ausreichen für die Übertragung. Für SARS-CoV-2 und alle anderen Coronaviren ist diese Zahl unbekannt. Genmaterial von SARS-CoV-2 Viren wurde in zahlreichen Fällen in der Raumluft von Krankenhäusern mit Covid-19-Patienten gefunden. Diese Resultate lassen den Schluss zu, dass die Virenanzahl in gut gelüfteten Räumen ohne massive Anreicherung im ein- bis zweistelligen Bereich pro m³ Raumluft liegt. Da eine erwachsene Person bei körperlicher Belastung 14 bis 18 m³ Raumluft pro Tag einatmet, stellen bereits wenige infektiöse Viren pro m³ ein relevantes Ansteckungsrisiko dar. Der Nachweis von infektiösen SARS-CoV-2-Viren in der Raumluft ist bisher an der extrem anspruchsvollen Nachweistechnik bei nur wenigen Viren pro m³ Raumluft gescheitert.

Luftfeuchtigkeit, Temperatur und Sonnenstrahlung bestimmen die Dauer der Infektiosität von SARS-CoV-2-Viren
Die Umweltfaktoren Raumklima und Sonnenlicht beeinflussen das Übertragungsrisiko, da sie die Dauer der Infektionsfähigkeit von abgegebenen Viren in der Luft und auf den Oberflächen bestimmen. Da die Raumtemperatur nur im engen Komfortbereich variiert und das Sonnenlicht in Gebäuden bei geschlossenen Fenstern vollständig fehlt, ist die Luftfeuchtigkeit der entscheidende Faktor, der die Infektiosität der SARS-CoV-2-Viren in der Luft und auf den Oberflächen bestimmt. Das US-amerikanische „National Biodefense Analysis and Countermeasures Center“ hat zwei SARS-CoV-2-Kalkulatoren veröffentlicht, die auf zwei Studien und noch laufenden Experimenten basieren. Mit Hilfe der Kalkulatoren kann der Einfluss der Umweltfaktoren auf die Dauer der Infektionsfähigkeit von Covid-19-Viren in Aerosolen und auf Oberflächen abgeschätzt werden. Ausgewählte Resultate für typische Klimasituationen in Gebäuden und im Freien sowie Links zu den Studien und den Kalkulatoren finden sich in der neben stehenden Grafik. Am wirksamsten inaktiviert werden SARS-CoV-2-Viren durch den ultravioletten Anteil der Sonnenstrahlung (UV-A und UV-B), die leider durch die meisten Fenstergläser zu fast 100 % absorbiert und reflektiert werden. Im Komfortbereich der Temperatur wird die Infektionsdauer der Viren deshalb in Gebäuden fast ausschließlich von der Luftfeuchtigkeit bestimmt. Wenn wir die relative Luftfeuchtigkeit in der Heizsaison in unseren Gebäuden auf tiefe zwanzig Prozent abfallen lassen, findet gar keine Inaktivierung der SARS-CoV-2-Viren mehr statt. Eine Anhebung der Luftfeuchtigkeit von 30 % auf 60 % verkürzt die Zeit bis zur Inaktivierung von 50% respektive 90% der Viren von 2 auf 0,5 Stunden respektive von 7 auf 1,5 Stunden (s. Grafik).

Raumluftfeuchte und Winter-Saisonalität der Atemweginfektionen sind verknüpft
Außenklima, Lüftungen, Heizungen und Energieeinsparungen (vermindertes Außenluftvolumen und mehr Rezirkulation) bestimmen Raumtemperatur, Luftfeuchtigkeit und die CO2-Werte in unseren Gebäuden. Sie sind mitverantwortlich dafür, dass die allermeisten viralen Atemwegsinfektionen, die Grippe, Covid-19 und die banalen Atemwegsinfekte, in unserem gemäßigten Klima im Winter auftreten. Auslöser für die Winter-Saisonalität ist die niedrige Feuchte in der kalten Außenluft. In den geheizten Gebäuden führt dies zu einer sehr geringen relativen Luftfeuchtigkeit, dem kausalen Grund für die Zunahme der Atemwegsinfekte im Winter. Kausal ist die tiefe relative Luftfeuchtigkeit deshalb, weil sie ideale Bedingungen schafft für die langdauernde Infektiosität der Atemwegsviren (inklusive SARS-CoV-2). Zudem werden die Übertragungsbedingungen über die Luft optimiert und gleichzeitig die Immunabwehr der Schleimhäute vermindert. Tierversuche haben gezeigt, dass das Einatmen von sehr trockener Luft die Immunantwort vollständig blockiert.

Keine historisierten Datensätze für ein risikogerechtes, objektbezogenes Management von Epidemien und Pandemien in Gebäuden
Es ist an der Zeit, dass Politik, Gesundheitsbehörden und Gebäudebetreiber erkennen, dass die auf Übertragungsvermeidung basierenden Verhaltensregeln wirksam ergänzt werden können durch proaktive Prävention in den Gebäuden. Wir können Maßnahmen ergreifen, welche die Verbreitung der Pandemieviren über die Raumluft und Oberflächen in unseren Gebäuden einschränken. Dazu gehören neben den bereits geforderten Hygienemaßnahmen optimale Lüftungen und die Sicherstellung einer schützenden, mittleren relativen Luftfeuchtigkeit. Die Covid-19-Pandemie zeigt erneut, wie wichtig es wäre, in kritischen Umgebungen wie Krankenhäusern, der Lebensmittelproduktion, Bürogebäuden und öffentlichen Transportmitteln über historisierte Daten (CO2, Luftfeuchte und Temperatur) zu verfügen. Dort, wo die allermeisten von uns mehr als 90% ihrer Lebenszeit verbringen, finden auch die allermeisten Infektions-Übertragungen statt – in den geschlossenen Räumen von Gebäuden und Verkehrsmitteln (Link 1). Die behördliche Verfügung von Pandemieauflagen, die sich auf spezifische Übertragungsrisiken eines Gewerbes (körperliche Nähe, Kontaktfrequenz, Sprechen, Singen, Personendichte) beziehen sind risikobezogen und gerechtfertigt. Der Einfluss gebäudespezifischer Faktoren, wie der Lüftungen und des Raumklimas, ist bekannt, konnten jedoch bisher wegen weitgehend fehlender Datenlage nur selten in die Risikobeurteilung einbezogen werden. Fragen nach dem Vorhandensein einer Lüftung, nach deren Effizienz, korrektem Betrieb und Wartung, nach Raumluftfeuchte und Temperatur können in den allermeisten Fällen nicht beantwortet werden, weil historisierte Daten fehlen. Die ASHRAE Epidemic Task Force fordert nun konsequenterweise begleitend zur Wiedereröffnung von Schulen und Universitäten, die Überwachung von Temperatur und Luftfeuchtigkeit (Link 3). Diese Daten würden es erlauben, Lockdown-Maßnahmen differenziert, risiko- und objektbezogen zu verfügen. Die fehlenden Daten zwingen zu undifferenzierten und ungerechten, flächendeckenden Verboten für ganze Gewerbekategorien mit gigantischen wirtschaftlichen Kostenfolgen. Die vergleichsweise bescheidenen Investitionskosten für eine schützende Gebäudetechnik, Datenerhebung und Speicherung würden sich tausendfach auszahlen – bei dieser Pandemie und bei jeder kommenden Pandemie. Die Daten würden es den Wissenschaftlern ermöglichen, unser Wissen über die gebäudespezifischen Voraussetzungen für Super-Spreader-Events zu vertiefen. Kombiniert mit den Warnsystemen durch SARS-CoV-2-Virenbestimmungen im Abwasser, die momentan erforscht werden, würden wir Instrumente in die Hand bekommen um bereits vor dem Auftreten von Neuinfektionen gezielt präventiv aktiv zu werden.

SARS-CoV-2 Superspreading Events from Around the World
Dr. med. Walter J. Hugentober
(Referenzlink Nr. 1)

Betrieb Raumlufttechnischer Anlagen unter den Randbedingungen der aktuellen Covid-19-Pandemie 24.04.2020, Version 2
Fachverband Gebäude Klima e.V.
(Referenzlink Nr. 2)

SCHOOLS & UNIVERSITIES | Updated 7-17-2020
ASHRAE EPIDEMIC TASK FORCE
(Referenzlink Nr. 3)

Infektionsschutzmaßnahmen
Robert Koch Institut
(Referenzlink Nr. 4)

Coronavirus SARS-CoV-2 breitet sich bei niedriger Luftfeuchtigkeit in Innenräumen stärker aus.
Leibniz-Institut für Troposphärenforschung